In der 42. Ausgabe unseres Newsletters finden Sie u. a. folgende Beiträge:
Sehr geehrte Damen und Herren,
das Jahr neigt sich langsam aber sicher dem Ende zu und damit kommt die Zeit der Weihnachtsfeiern. Zu dieser Thematik finden Sie in der heutigen Ausgabe unseres Newsletters vier Entscheidungen, die helfen sollen, eine Weihnachtsfeier "unfallfrei" und ohne arbeitsrechtliche Konflikte durchzuführen.
Des Weiteren beschäftigen wir uns mit genesungs- und gesundheitswidrigem Verhalten während einer Arbeitsunfähigkeit und stellen eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts betreffend des Zugangs eines Einwurf-Einschreibens dar.
Wir wünschen Ihnen eine interessante und informative Lektüre und stehen bei Rückfragen jederzeit gerne für Sie zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Rechtsanwälte Thiery & Thiery
Der Arbeitnehmer war seit 17 Jahren als Lagerist beschäftigt, als es zu einem Wegeunfall (Sturz mit dem Fahrrad) kam. Dabei zog er sich einen Bruch des linken Schulterblatts zu. Dies führte zu einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über 6 Wochen.
Der Arbeitgeber staunte nicht schlecht, als er aus der lokalen Presse erfuhr, dass sein Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit an zwei Marathonläufen (50 und 53 km) teilgenommen hat. Es kam zur außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
In seiner Kündigungsschutzklage rechtfertigte sich der Kläger damit, dass er seine Teilnahme mit dem behandelnden Arzt abgesprochen habe. Dieser habe erklärt, dass aus ärztlicher Sicht nichts gegen die Teilnahme spreche. Der Kläger solle jedoch die sportliche Betätigung einstellen, sobald er Schmerzen verspüre. Dem Gericht legte er eine entsprechende schriftliche Bestätigung des Arztes vor.
Das Arbeitsgericht Stuttgart hat mit Urt. v. 22.03.2007 – 9 Ca 475/06 – der Klage stattgegeben im Wesentlichen mit folgender Begründung:
Ein genesungs- und gesundheitswidriges Verhalten während einer Arbeitsunfähigkeit ist an sich geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Im Hinblick auf die ärztliche Konsultation könne jedoch weder eine konkrete Verzögerung des Genesungsverlaufes noch ein genesungsgefährdendes Verhalten festgestellt werden. In jedem Falle fehle es – jedenfalls im Hinblick auf die Erklärung des Arztes – an einem Verschulden.
Das Urteil ist zwar ausführlich begründet, wirklich überzeugend ist es aber nicht. Das Arbeitsgericht Stuttgart hat sich nicht die Frage gestellt, ob der Kläger im Hinblick auf seine berufliche Tätigkeit bei Antritt des ersten, spätestens des zweiten Marathonlaufs überhaupt noch arbeitsunfähig war oder ob vielleicht sogar von Anfang an keine Arbeitsunfähigkeit vorlag. Nach § 2 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit liegt eine Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit seine zuletzt vor der Arbeitsunfähig ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Bei der Beurteilung ist darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. In diesem Zusammenhang ist es nach § 2 Abs. 5 S. 1 der Richtlinie erforderlich, dass der behandelnde Arzt den Arbeitnehmer zur aktuell ausgeübten Tätigkeit und den damit verbundenen Anforderungen und Belastungen befragt.
Möglicherweise war der Arbeitnehmer nämlich trotz der Verletzung in der Lage, z. B. Botengänge zu erledigen, An- und Auslieferungen zu überwachen, Lagerbestände zu kontrollieren, etc. Die Rechtsprechung des BAG ist in jüngster Zeit hinsichtlich des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufmerksam geworden.
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die zeitlich passgenau mit einer Kündigungsfrist übereinstimmen, werden nach den Urteilen des BAG vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 – und vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23 – bereits auf einen besonderen Prüfstand gestellt. Vielleicht wendet die Rechtsprechung sich demnächst auch der Frage zu, ob eine Erkrankung bzw. ein Unfall tatsächlich zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit führt oder aber z. B. nur eine „Teil-Arbeitsunfähigkeit“ vorliegt.
Wir haben vier Urteile herausgesucht, die helfen sollen, eine Weihnachtsfeier "unfallfrei" und ohne arbeitsrechtliche Konflikte durchzuführen.
BayVGH, Beschluss vom 03.03.2017 – 3 ZP 14.1976.
Eine Beamtin hat an einer vom "Gemeinschaftsausschuss" ausgerichteten und vom Dienststellenleiter gebilligten Weihnachtsfeier in einem Hotel teilgenommen. Die Veranstaltung begann mit einem gemeinsamen Abendessen im Kollegenkreis, an welches sich dann der "offizielle Teil" anschloss.
Das Abendessen wurde a la carte bestellt. Die Beamtin bestellte sich ein Hirschgulasch. Beim Verzehr biss sie auf eine darin enthaltene Schrotkugel und erlitt Schäden an drei Zähnen.
Streitig war die Frage, ob es sich um einen Dienstunfall gehandelt habe. Der BayVGH hat diese Frage bejaht und traf dabei im Wesentlichen folgende Aussagen:
Die rechtlichen Aussagen wurden zwar im Rahmen eines Beamtenverhältnisses getroffen, sie lassen sich jedoch ohne Weiteres auf ein Arbeitsverhältnis übertragen.
LAG Hamm, Urteil vom 30.06.2004 – 18 Sa 836/04
Der Mitarbeiter war auf Krawall gebürstet und hat schon vor der Weihnachtsfeier angedeutet, dass er „Ärger machen“ werde. Wegen seiner 23-jährigen Betriebszugehörigkeit fühlte er sich sicher, weil man ihm „gar nichts könne“. Er fing an, Kollegen zu beschimpfen und steigerte sich nur noch, als er angehalten wurde, Ruhe zu geben. Die Folge war eine außerordentliche Kündigung.
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage im Wesentlichen mit der Begründung, er habe an dem Abend einen „Blackout“ gehabt. Damit fand er aber weder beim Arbeitsgericht Paderborn noch in zweiter Instanz beim LAG Hamm Gehör.
Mit den beleidigenden Äußerungen gegen Kollegen und Vorgesetzte, welche hier nicht widergegeben werden sollen (der Fantasie des Lesers sind keine Grenzen gesetzt), hat der Kläger nach Auffassung der Gerichte eine nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG) geschützte Ehrverletzung begangen. Einen „Blackout“ haben die Zeugen nicht bestätigt. Es half dem Kläger auch nicht, dass es sich um einen einmaligen Vorfall in den 23 Jahren der Betriebszugehörigkeit gehandelt hat. Auch eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrelevant und umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie erfolgt.
Dem Arbeitgeber wurde zugute gehalten, dass er aus Fürsorgepflicht die angegriffenen Mitarbeiter vor weiteren Ehrverletzungen durch den Kläger schützen müsste und der Kläger auch aus disziplinarischen Gründen den Arbeitnehmern gegenüber im Betrieb nicht mehr einsetzbar war.
ArbG Osnabrück, Beschluss vom 08.04.2010 – 4 BV 13/08
Nicht nur Beleidigungen, sondern auch tätliche Angriffe können eine Weihnachtsfeier beeinträchtigen. Während einer Weihnachtsfeier betrat der Betriebsratsvorsitzende die Bühne und begann in ein Mikrofon zu singen. Als daraufhin mehrere Arbeitskollegen forderten, er solle"aufhören, da es furchtbar klingen" würde, verließ er die Bühne, ging auf eine Gruppe von vier Mitarbeitern zu und schlug einem davon ins Gesicht.
Der Betriebsrat hat die erforderliche Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung verweigert, weshalb der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht einen Antrag auf Ersetzung der Zustimmung gestellt hat – mit Erfolg. Der Kläger versuchte sich mit Volltrunkenheit herauszureden, welche von den Zeugen jedoch nicht bestätigt wurde. Weder seine Betriebszugehörigkeit von über 20 Jahren noch sein Sonderkündigungsschutz als Betriebsratsmitglied oder seine Unterhaltsverpflichtungen konnten dem Kläger sein Arbeitsverhältnis retten. Den Arbeitgeber– so das Gericht – treffe eine Fürsorgepflicht gegenüber den anderen Mitarbeitern. Er müsse die Mitarbeiter schützen und verhindern, dass diese der Gefahr von körperlichen Angriffen ausgesetzt sind.
LAG Köln, Urteil vom 26.03.2014 – 11 Sa 845/13
Während der Weihnachtsfeier überreichte der Arbeitgeber allen anwesenden Personen ein iPad mini im Werte von 429,00 € als Geschenk. Ein Arbeitnehmer war arbeitsunfähig erkrankt und konnte an der Weihnachtsfeier nicht teilnehmen. Er ging deshalb leer aus. Er meinte, die Zuwendung des iPad mini sei als Sondervergütung zu werten, die ihm auch im Krankheitsfall zustehe. Der Kläger sah einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zudem sei mit der Übergabe der iPad mini eine Honorierung der im vergangenen Jahr geleisteten Dienste verbunden gewesen.
Dem sind das Arbeitsgericht Köln und in zweiter Instanz das LAG Köln nicht gefolgt. Die Gerichte respektieren das Bemühen des Arbeitgebers, mit der Überreichung eines im Vorfeld nicht angekündigten Geschenkes das von ihm vermisste Interesse der Mitarbeiter an der Teilnahme an Betriebsfeiern steigern zu wollen. Er versprach sich davon, dass es sich im Betrieb herumsprechen werde, dass die Teilnahme an einer betrieblichen Feier (auch) aufgrund eines Geschenkes attraktiv sein kann.
Der Arbeitgeber hatte konsequent keinem der nicht anwesenden Mitarbeiter – ob krank oder nur lustlos – ein iPad mini übergeben. Den Gleichbehandlungsgrundsatz sahen die Gerichte nicht berührt.
So kurz und bündig hat das AG Leverkusen am 27.05.2020 ein Urteil (27 C 135/19) begründet.
Der Beklagte hatte anwaltliche Beratung eingeholt. Er wurde zuvor über die Kosten informiert und hatte hierüber eine Bestätigung unterschrieben. Aus welchen Gründen auch immer wollte er dann aber nicht zahlen. Das AG Leverkusen hat ausgeführt: "Für die Höhe der Vergütung kommt es nicht auf die beanspruchte Zeit oder den Erfolg der anwaltlichen Tätigkeit an, sondern alleine auf den Gebührenwert nach der RVO. Diesen hat der Kläger zutreffend in Rechnung gestellt". Diese Feststellung hat das Gericht dann noch mit einer schönen Geschichte illustriert: Es kam einmal ein chinesischer Kaiser zu einem Maler in einem Bergdorf und bat ihn darum, ihm einen Hahn zu malen. Der Kaiser reiste weiter und kam nach 30 Jahren wieder in das Dorf. Da erinnerte er sich an den Auftrag und fragte den Maler nach dem Bild. Der setzte sich hin, nahm ein Blatt und malte mit wenigen Pinselstrichen einen wunderschönen Hahn. "Wie viel kostet das?", fragte der Kaiser. "3 Goldstücke", antwortete der Maler. "Findest
Du das nicht ein wenig zu viel für 5 Minuten Malerei?". Da sprach der Maler: "Edler Kaiser, Du hast nur die 5 Minuten gesehen. Aber bedenke, dass ich 30 Jahre lang geübt habe für diesen Hahn".
Das Urteil endet mit der Conclusio: "So verhält es sich auch mit der Vergütung des Rechtsanwaltes, welcher nicht für die Zeit der Beratung, sondern die Inanspruchnahme seines Wissens angemessen vergütet wird".
Immer wieder stellt sich in der Praxis die Frage, wie die Zustellung von Kündigungsschreiben an Arbeitnehmer zu bewerkstelligen ist. Ideal ist die Zustellung per Bote. Da Entsprechendes nicht immer möglich ist, wird alternativ die Zustellung per Einwurf-Einschreiben empfohlen. Eine Versendung von Kündigungsschreiben per Einschreiben-Rückschein sollte auf jeden Fall unterbleiben. Bezüglich des Zugangs eines Einwurf-Einschreibens hat sich das Bundesarbeitsgericht nunmehr mit Urteil vom 20.06.2024, 2 AZR 213/23, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes angeschlossen.
Im entschiedenen Fall kündigte der Arbeitgeber seiner bei ihm als Zahnärztin angestellten Mitarbeiterin mit Schreiben vom 28.09.2021, welches als Einwurf-Einschreiben versandt wurde, unter Wahrung der arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsfrist zum Quartalsende, d. h. zum 31.12.2021. Nach dem Auslieferungsbeleg der Deutschen Post AG war der Brief am 30.09.2021 in den Briefkasten der Angestellten eingeworfen worden.
Die gekündigte Zahnärztin erhob Kündigungsschutzklage und bestritt den rechtzeitigen Zugang des Schreibens. Ihre Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen.
Das BAG geht nunmehr, wie auch der BGH, von dem Anschein des Zugangs zu postüblichen Zeiten an dem entsprechenden Tag aus. Bei einer Kündigung handelt es sich um eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden, die gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugeht, sobald sie in verkehrsüblicher
Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Der Einwurf einer Kündigung in den Briefkasten bewirkt nach Auffassung des BAG deren Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Für die Verkehrsanschauung kommt es dabei im Interesse der Rechtssicherheit nicht auf eine individuelle, sondern auf eine generalisierende Betrachtung der Umstände an. Bei Hausbriefkästen sei dabei im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen – in der Praxis stark variierenden – Postzustellzeiten zu rechnen.
Das BAG hat zwar betont, dass dieser Anscheinsbeweis durch die Darlegung atypischer Geschehensabläufe widerlegt werden kann, Entsprechendes war vorliegend aber nicht der Fall. Die Entscheidung des BAG ist sehr zu begrüßen. Auch nach Auffassung des BAG wird bezüglich des Zuganges von Einwurf-Einschreiben nämlich nunmehr trotz Kenntnis um die in der Praxis stark variierende Postzustellzeiten ein generalisierender Maßstab zugrunde gelegt, sodass in der Regel davon ausgegangen werden kann, dass mit der Einlegung des Schreibens durch den Postzusteller in den Hausbriefkasten am selben Tag der Zugang erfolgt.